Dienstag, 18. Mai 2010

Wo bin ich?

Ich sitze gerade auf der Terrasse meines Projekts. Das Bächlein plätschert, die Vögle kündigen bei noch Sonnenschein baldigen Regen an und ich trinke frischen Kräutertee aus dem eigenen Garten. Heute gab es fast gar nix zu tun und bis auf ein paar Reparaturen und einer Reunion die gleich noch ansteht soll es das auch für heute gewesen sein. Ab morgen wird’s dann wohl richtig stressig, denn dann beginnt die Expotour, eine Tourismusmesse an der mein Projekt teilnehmen wird und auf der ich jeden Tag meine 10 Stunden verbringen werde. Dafür dass das die größte Messe dieser Art im Land ist, ist mein Projekt denkbar schlecht darauf vorbereitet. Ich habe nun ja schon genügend Messen miterlebt und das mindeste wäre, zu wissen wie groß der Stand ist, was man mitbringen muss und was man überhaupt präsentieren will. Da man das alles nicht so genau weiß und auch mein Nachdruck daran nichts geändert hat, lass ich das also mal alles auf mich zukommen. Zumindest habe ich jetzt ein Projekt-Hemd (Plastikfußballtrikot-mit-Projektlogo) und meinem Chef habe ich noch ein paar Visitenkarten gemacht (könnte ja auf einer Geschäftsmesse von Vorteil sein) auch wenn er selbst gar nicht auf der Messe sein wird. Mal wieder typische tico-gurken-planung und ich komme mir mal wieder typisch Opel-Fließband-Deutsch vor. Zum Glück hat man eine Woche vor Messebeginn noch an einem Workshop des Tourismusministerium zum Thema „Messen“ teilgenommen, auf dem man erfahren hat, dass ein erfolgreicher Messeauftritt ca. 8 Monate Vorbereitung erfordert. Ich finde das von beiden Seiten (Projekt und Ministerium) eine ausgezeichnete Idee. Aber mal im Ernst, ich bin wirklich gespannt und hoffe, dass das was wird. Habe mal die Bachgeräusche aufgenommen und hoffe damit ein bisschen auffallen zu können und außerdem ein paar Agenturen unverbindlich zu unserem Stand eingeladen (daran hatte natürlich auch noch niemand gedacht, dass man auf einer Messe ja Geschäfte macht und Kontakte knüpft). Wer weiß, vielleicht kommt ja was bei rum.

Ansonsten schon ein paar schöne Tage hier erlebt. Eine Freundin war ja kurz zu Besuch und was haben wir gemacht. Eigentlich nicht viel. Auf den Berg geklettert – anstrengender als zunächst angenommen – und lecker Pfadfinderfrühstück mit frischem Käse, Eiern, Pinto und Tortillas auf offenem Feuer gemacht. Forelle gefischt und gebraten, ein bisschen im Projekt geholfen, Spinnen gejagt, viel gebabbelt und rumgehangen. Schade, dass sie nur so kurz, schön dass sie überhaupt da war.

Am WE mal den Umstand genutzt so nah an SJ zu sein und für nen Tag hingefahren. Vorher noch mit meinem Chef zum Fußballspiel seines Sohnes gefahren und festgestellt, dass die Spielermütter viel fanatischer und beleidigender sind als die Väter. Mein Chef hat zur Feier des Tages (?) sein altes FDJ-Hemd angezogen, das man ihm 1985 geschenkt hat, als er ein Auslandssemester in der Kaderschule in Kleinmachnow gemacht hat. Oh man! Sa. Abend im Kulturinstitut gewesen, wo es mehrere Zirkusvorstellungen gab unter anderem auch ein Kinderzirkus wo ein Freund von uns arbeitet. Die Kids waren so zwischen 9-12 Jahren alt, hatten es echt drauf und alles in allem scheint das wirklich ein gutes Projekt zu sein. Leider gab es ja auch andere Gruppen und so ist mir von diesem Spektakel nicht mehr im Gedächtnis geblieben als zwei überaus muskulöse Ausdruckstänzer – von denen einer wie ein unglaublich wütender Indianer aussah – die mit einem Sack Eis getanzt, sich auf die Brust gespuckt haben und sich die Hand den Mund steckten, die vorher noch im schwitzigen Schritt steckte. Und bei aller Grazie und artistischer Bewunderung fallen mir dazu nur diese 5 Worte ein: Der Wolf, das Lamm, Hurtz.
Später dann mit vielen Leuten in der Chicha und noch später nochmal in der Cali gewesen (zwei Straßen in SJ wo immer ein Haufen Leute draußen sitzen und das fast wie Berlin-Mitte bzw. Prenzlberg ist. Zumindest vom Stylo-Faktor) und Max und ich haben uns mit aufgemalten Stempeln auf ein Ska-Konzert geschlichen. War ganz lustig, aber das beste war eindeutig, die 20 Oi!-Skins, die bei der Aftershow-Disco richtig heftig zu Shaggys „Mr. Bombastic“ abgegangen sind. Das hat sich eingebrannt. Am nächsten Morgen hat einer von Max‘ Mitbewohnern nen Flashmob organisiert, der „die Freiheit der Kunst“ hieß. Alle sollte im Parque Central in Herredia, nach der Kirche ihre Schuhe ausziehen (laut Frank das Symbol zur Sprengung der Ketten der Konventionen – hihihi) und irgendetwas künstlerisches machen. Im Endeeffekt kam das wie eine große Street-Performance rüber und von Diabolo, über Tanz, Gitarren, Saxophon, Geige und Jonglage war alles an Kunst vertreten und auch ganz lustig. Ich stand mit meiner deutschen-HipHop-Darbietung ein bisschen am Rande, was Frank sehr gefallen hat, denn „Rap wird in der Kunst ja immer marginalisiert“ und darauf hätte ich aufmerksam gemacht. Am Ende alle Flashmobber noch ein Bierchen gedrunken und dann im strömenden Regen wieder ab nach Hause, wo ich dann noch die Hotelbetten abgezogen habe. Also Business as usual und ein lustiges WE gehabt und ich muss sagen, ich bin richtig froh in meine neues Projekt gewechselt zu haben.

Die Woche werde ich erst mal ganz geschäftig tun, melde mich aber bald wieder bei dir liebes Nimmerland. Bis dahin halt die Ohren steif und sei gedrückt.

Felix

Samstag, 8. Mai 2010

Neuanfang....

Dear Nimmerblog,

Also bin ich jetzt schon/erst 5 Tage in Plamichal oder besser gesagt in San Pablo, denn Plamichal ist ungefähr ne Stunde Fußweg entfernt. Ich bin diesen verdammten Weg nun schon dreimal gelaufen und das ist echt kein Zuckerschlecken. Das erste Mal mit ca. 20 Kg. Einkäufen bei sengender Hitze. Das zweite Mal in strömendem Regen. Und was gibt es seitdem zu berichten? Ich bin in ein Haus gegenüber meinem neuen Projekt gezogen und im Gegensatz zu meiner liebgewonnenen Bruchbude in Bijagua lebe ich nun sozusagen in einem Schloss. Das Haus ist in etwa genauso groß wie mein altes aber es hat gefliesten Boden und eine richtige Küche mit Kochzeugs drinnen ein Sofa, dass nicht auseinanderfällt, und zwei Bäder mit richtig richtig warmem Wasser und drei Schlafzimmer mit insgesamt 8 Betten. Was ein bisschen stört ist der ganze Tico-Kitsch: rosa Vorhänge, gerüschtes Bettzeug, Nippes im Regal und kitschige Bilder an den Wänden. Ausserdem hat meine vermieterin sich gedacht: Damit sich die Touris hier zu Hause fuehlen, haenge ich mal ein paar meiner Hochzeitsbilder auf. Vielleicht wird das alles nach und nach in einer großen Kiste verschwinden – mal schauen. Meine Hängematte hängt bereits im Garten und man hört keine Lastwagen die die ganze Nacht das Haus erzittern lassen, sondern einzig und alleine das kleine Bächlein, das durch mein Grundstück plätschert. Also was soll ich sagen: Es ist wirklich ein kleines Paradies und ich fühle mich sehr wohl in dieser gottverlassenen Abgeschiedenheit. Ich zahle so viel wie für mein altes Häuschen und habe schon wirklich ein kleines schlechtes Gewissen ob dieser phänomenalen Verbesserung, weil all meine Nachbarn waschechte Campesinos sind und mit der ganzen Familie in kleinen Holzhäusern wohnen. Aber fairerweise muss man sagen, dass mein Haus – eigentlich so ein Ferienhäuschen – das einzige freie in der näheren Umgebung war. Entweder jeden Tag 2 Stunden Fußmarsch oder eben das beste Haus am Platz. Wie hättet ihr entschieden? Auf jeden Fall ist auch hier wieder jede Menge Platz und diesmal sogar jede Menge Betten für Besuch und das ist und war mir ja schon immer wichtig.
Und das neue Projekt? So viel kann ich noch nicht darüber sagen, aber auf jeden Fall liegt Arbeitsduft in der Luft und das freut mich. Nacientes Palmichal ist ja eine Mischung aus Lodge, Tagungszentrum und Bildungseinrichtung und irgendwie blicke ich da noch nicht so ganz durch. Mein Chef macht auf jeden Fall erstmal eine sehr netten, wenn auch etwas verwirrten Eindruck. Ein Mann mit vielen Visionen dem aber auch leider etwas heimtückisches anhaftet. Schon nach drei Tagen habe ich angefangen etwas in der Gerüchteküche zu stochern und ich versichere euch, ich werde – my dear Watson- dem ganzen ganz gehörig auf den Grund gehen. So wie es aussieht ist mein Chef nur ca. einmal die Woche im Projekt – zumindest wenn keine „Gäste“ da sind – und ich weiß noch nicht so genau, was ich davon halten soll. Auf jeden Fall gibt es so etwas wie eine Hausdame –Vivian - mit der ich mich schon echt gut verstehe, die meine Vermieterin ist und die immer irgendwas an Arbeit für mich hat. Bereits abgeharkt: Telefone installiert, Spüle repariert, Wanderwege mit Machete von Gestrüb befreit – dabei in den Finger geschnitten - , Schaufelmit neuem Stiel versehen, an einer Wir-pflanzen-1500-Bäume-Versammlung teilgenommen (werde einen Flyer entwerfen). Die nächsten Tage kommt ne riesen Kindegruppe für ein Öko-Seminar und ich helfe bei der Betreuung, am Mo. fahre ich zu einem Workschop über ländlichen Tourismus und in zwei Wochen ist eine einwöchige Tourismusmesse bei der ich wohl die ganze Zeit auf unserm Stand arbeiten werde. Ihr seht also, es scheint eine Menge zu tun zu und ich freue mich riesig drauf.

Nicht so toll geht’s mir mit meinem Abschied aus Bijagua, denn ich vermisse mein Leben, die Leute im Ort und vor allem meine Freunde. Die letzten Tage dort waren wirklich strange. Es war das gleiche Gefühl als ich damals Berlin verlassen hatte; irgendwie fühlte sich das nicht richtig an. Gerade zum Schluss habe ich noch ein paar wirklich schöne Dinge dort erlebt. Z.B. war meine Abschiedsfeier wirklich lustig und zumindest ich war unglaublich betrunken (Wodkamelone). Wobei, eigentlich waren alle ziemlich betrunken.  Ich habe echt nochmal sehr nette Leute in Bijagua kennengelernt und dabei noch gleich einen Haufen neue Billard-Regeln. Außerdem eine Bar gefunden in der es zu jedem Bier einen s.g. Boca gratis gibt. Das ist ein Minisnack in einer kleinen Schüssel – quasi ein Happs(Weiße Bohnen oder Ceviche oder Schweinefuss-Suppe). Großartig und köstlich und ich weiß wirklich nicht warum wir keine Bocas in Deutschland haben. Ausserdem waren am Ende noch eine Meneg Leute zu Besuch. Nicht nur fuer meinen Abscheid sondern auch sonst waren ein Haufen Leute da und auch meine Freunde hatten alle irgendwie besuch und so ist aus Bijagua moch eine richtig cosmopolitisches Kaff geworden. Wie auch immer, der Abschied fiel mir richtig schwer und auch wenn die ganzen neuen Eindruecke gar nicht so viel Platz fuer trauer lassen, werde ich Bijagua doch sehr sehr vermissen und mal wieder ein neues zu Hause zu meiner Liste hinzufuegen.

Wenn man so viele nette Leute auf der Welt kennen lernt ist das tolle daran ja, dass man immer wieder Gruende hat zurueck zu kommen. Das dumme ist nur, dass es immer schwieriger wird an alle orte zurueckzukehren und dann noch neue kennen zu lerenen. Ich hoffe das kappt mit Bijagua....