Montag, 26. April 2010

EINE NICHT ALL ZU SEHR, ABER DENNOCH SONDEBARE GESCHICHTE

Alles fing an mit verhaltenem Gemurmel und Getuschel und einige Leute im Saal warfen sich fragende und überraschte Blicke zu. Doch als sie die die fünf Stufen zum Podium hinaufging schwoll der Applaus zu einer tosenden Kakophonie aus Rufen, Pfiffen und Klatschen an und mit jeder Stufe die sie erklomm wurde er lauter. Tatatata! Wie in Trance ging sie zum Rednerpult, an dem schon irgend so ein alter Knacker mit dem geöffneten Umschlag in der Hand stand. Er trug einen neongelben Badeanzug, wie sie derzeit überall getragen wurden, zumindest in den „höheren Kreisen“ und erst recht zu diesem Anlass. Neben ihm wartete eine junge Dame. Zumindest nahm sie das an, dass sie jung war, genau sehen konnte sie es nicht, denn das Gesicht der Frau war verborgen hinter einem überdimensionalen rosa Schwein aus Pappmaché, das auf einem Rollbrett auf die Bühne geschoben worden war. Das Schwein sah aus wie eine zu groß geratene Piñata, nur das sich offensichtlich im Inneren leere Konservendosen befanden anstatt Leckereien und Bonbons. Ein überdimensionales Pappmachéschwein mit Konservendosen zu füllen hat eine lange Tradition in der Geschichte der Preisverleihungen, die sich ein findiger Werbefachmann letztes Jahr zu Ostern ausgedacht hatte. Das Schwein war drei Stunden vor der eigentlichen Zeremonie von einigen Kindergartenkindern in einem nah gelegenen Kindergarten gebastelt worden und so sah es auch aus: Hässlich!

Als sie hinter das Mikrophon und vor die Menge trat, erkannte sie, dass die Person hinter dem Schwein gar keine Frau war, sondern ihr Bruder. Sie freute sich darüber, denn bis jetzt hatte sie nicht einmal gewusst, dass sie einen Bruder hatte und da ihre Mutter heute nicht anwesend war, konnte sie diese auch nicht einfach danach fragen. Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Einzig wichtig war, dass sie jetzt einen Bruder hatte und sich über ihn freuen konnte. Sie versuchte ihn bewusst zu ignorieren, denn es hatte den Anschein, als sei er nur wegen dem Schwein auf die Bühne gekommen und wüsste eigentlich nicht im Geringsten was hier vor sich ginge. Aber so war er nun mal, dacht sie, ihr Bruder.

Ihr war nicht wohl in ihrer Haut. Der Gedanke, von Hunderten von Menschen beobachtet zu werden die nur danach geiferten, dass sie einen Fehler machte, die jede Unachtsamkeit mit blankem Spott und Hohn quittierten, ließ sie lächeln. Sie rülpste laut; immerhin konnte sie das Publikum wegen der vielen Scheinwerfer die auf sie gerichtet waren sowieso nicht sehen. Die vielen Kameras und die halbe Weltbevölkerung + 254 vor dem Fernseher hatte sie schlicht und einfach vergessen. Doch bis auf dem aus ihrem Bauch kam kein weiterer Ton über ihre Lippen, aber das war nicht schlimm. Sie hatte Zeit und immerhin war das IHR Moment und keiner durfte eher auf die Toilette gehen ehe sie die Bühne wieder verließ. So waren die Regeln und die Kommission achtete auf deren Einhaltung. Das hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen, doch das war eine andere Geschichte und sie entfernte die Erinnerung an damals mit einem Kopfschütteln. Die Spannung breitete sich auf den ganzen Raum aus und man hätte eine Stecknadel fallen hören, doch der Typ, der eigentlich dafür zuständig war hatte sich heute frei genommen und niemand hatte ihm Bescheid gesagt. Schade eigentlich.

Die Fragen tanzten in ihrem Kopf Walzer und luden zu Kaffee und Kuchen. War das wirklich geschehen? Konnte das sein, hatte sie wirklich ihren Namen gehört? Ihr kam die ganze Situation irgendwie surreal vor. Dieses Wort hatte sie einmal bei einem Ausflug mit ein paar älteren Damen aufgeschnappt und sie hoffte, dass es nichts mit Wärmedecken und Massagerollen zu tun hatte; das wäre zu peinlich aber wer konnte schon ihre Gedanken lesen. Hatte sie wirklich gerülpst? Zumindest hatte sie heute Morgen eine leckere Kohlroulade gegessen, was dafür sprach. Dagegen wiederum sprach die Tatsache, dass sie Kohlrouladen gar nicht mochte.

Sie musste sich drei Mal auf die Backe hauen, versuchen ihren eigenen Ellebogen zu lecken und mindestens einmal an Apfelkuchen denken bevor sie realisierte, dass dies hier alles kein Traum war. Auf dem Zettel den der alte Knacker aus dem Umschlag holte stand wirklich ihr Name und als der alte Knacker diesen auch noch enttäuscht ins Mikrophon plärrte und somit der halben Menschheit + 245 und einigen Hundert Menschen im Saal die „frohe“ Botschaft verkündete, war es amtlich. Sie hatte tatsächlich gewonnen. Nancy Bein, Nobelpreisträgerin.

Als sie erfuhr, dass sie für alle fünf Kategorien nominiert wurde, haute sie das ganz und gar nicht vom Hocker, denn immerhin kannte sie nur Zwei: Frieden und Physik. Sie glaubte auch dass es eine Kategorie gab, die irgendwas mit kochen zu tun hatte aber sie war sich nicht sicher, denn ihre Paella schmeckte grauenhaft nach altem Autoreifen, was wohl daran lag, dass sie in einem alten Autoreifen serviert wurde. Auf jeden Fall, hatte sie in allen Fünf Kategorien gewonnen, weshalb sie nun auch nicht mehr glaubte, dass eine von ihnen etwas mit kochen zu tun hätte, und das war schon ein starkes Stück. Nun, mit diesem überdimensionalen rosa Schwein aus Pappmaché an ihrer Seite fühlte sich das alles schon etwas anders an und sie reckte ihre Nase in die Luft und plusterte sich etwas auf, soweit es die Klamotten eben zuließen.

Nancy Bein, Nobelpreisträgerin. Jungejungejunge! Alle Fünf Preise gewann sie für ihre „Theorie der dummen Fragen“, die sie unbewusst entwickelt und an der sie ihr ganzes Leben bis zur totalen Perfektion gefeilt hatte. Ihre Liste von Fehlschlägen war lang. Die eigentliche Grundlage bzw. die Ausgangsthese ihrer Theorie hatte sie schon wieder vergessen, denn sie hatte im Unterricht eigentlich nie aufgepasst und sich lieber mit ihrem Freund Julian Schneewalter hinter dem Vorhang versteckt. Dumm war damals nur, dass ihre Füße unter dem Vorhang hervorguckten und die Lehrerin die beiden sofort entdeckte – natürlich erst nachdem sie bis Zehn gezählt hatte. Während Julian von seinen Eltern, die maßlos enttäuscht waren, sofort von der Schule genommen wurde, bekam Nancy eine Sechs in „Schlechte Verstecke“ und musste sich zur Strafe zwanzig Mal in einer Vase „hidden“, was in Ordnung für sie war, denn sie mochte Blumen. Was würde ihre Lehrerin wohl jetzt zu ihr sagen? Wie hieß sie noch? Vergessen! Egal, werde sie das nächste Mal fragen, dachte sie kurz. Sie stand noch immer auf dem Podium und langsam fing es an im Saal unangenehm zu riechen und wenn die Scheinwerfer nicht gewesen wären hätte sie sicherlich einige Köpfe gesehen, deren Gesichter beschämt zu Boden schauten und deren Verlegenheit sich in den kleinen Pfützen unter den Klappstühlen spiegelten. Ja, ja, die Regeln der Kommission waren hart; aber wo war sie stehen geblieben?

Sie dachte an den Morgen des selbigen Tages zurück, als Michail ihr Fahrersklave sie fragte ob sie mitkommen würde nach Bottrop um Milch zu kaufen. Das Wort Chauffeur war verpönt, seitdem die Fahrersklavengewerkschaft auf den diskriminierenden Charakter der Buchstabenkombination „Arsch“ im Wort „Chauffeur“ aufmerksam machte. Da jedermann wusste, dass Chauffeure allesamt Analphabeten waren, tat man ihnen den gefallen und änderte die Berufsbezeichnung auf Wunsch der Gewerkschaft in Fahrersklaven. Damit sollte eine Brücke geschlagen werden zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart des Transportdienstleistungsgewerbes und alle gewöhnten sich ziemlich schnell an den neuen Titel. Alle bis auf die alten Männer die immer in der Eckkneipe von Schorch in der Amselgasse sitzen, aber denen kann man es eh nie Recht machen.

Schon am Morgen hätte sie sich eigentlich denken können dass da was im Busch war, aber naiv wie sie war hatte sie wieder einmal kein Ahnung gehabt. Im nach hinein schien der Vorwand von Michail geradezu absurd, den erstens war sie bis dato noch nie mit im mitgefahren – ein Fahrersklave war eher wie ein Melonenbällchenmacher: Mehr Statussymbol als tatsächlicher Gebrauchsgegenstand -, zweitens war Bottrop ca. 150 km weit von ihrem Haus entfernt und drittens trank keiner von ihnen beiden aufgrund einer gemeinsamen Laktoseunverträglichkeit Milch.

Aus welchen Gründen auch immer, sie war eingestiegen. und als sie nach zwei Stunden wieder aus dem Schlaf erwachte in den Michail sie mittels eines Eimers Chloroform versetzte, den er ihr über den Kopf geschüttete sobald sie hinter dem Steuer Platz genommen hatte – wie gesagt, Fahrersklaven sind eher dekorativ denn nützlich - , als sie also nach zwei Stunden voll süßer Träume wieder zu sich kam, saß sie angekettet auf einem Stuhl in der Bottroper Schlomo-Schlonko-Mehrzweckhalle, inmitten einer Reihe voll finster dreinblickenden alten Männern in neongelben Badeanzügen – so etwas trug man(n) einfach zu dieser Zeit (ca. 15 Uhr). Sie war also zur Nobelpreisverleihung entführt worden. Interessant.

Jetzt hatte sie gewonnen, war überglücklich und beschloss nicht mehr böse auf Michail zu sein und ihm heute Abend eine Extraportion von seinem Lieblingsgericht zu machen. Da sie aber nicht wusste was Michails Lieblingsgericht war, entschied sie er solle es sich selber kochen und ihr noch eine Extraportion dazu, immerhin war sie nun Nobelpreisträgerin. Die Verleihung fand wie jeden Monat in Bottrop statt - außer im September, da durften alle ausschlafen. Ursprünglich wurde der Nobelpreis einmal in Oslo verliehen und das auch nur alle Jubeljahre - was auch immer das heißen mag. Leider konnte sich daran niemand mehr erinnern, wie an so manches andere vor der Zeit des großen Vergessens.

Ja, ja, die Zeit des großen Vergessens. Es war gerade Zeit zum Gassi gehen, da fingen die Menschen einfach an alles zu vergessen. Die klügsten Köpfe der Welt versuchten damals fieberhaft dem Problem Herr zu werden und einige Thesen gingen sogar davon aus, alles hinge mit mal wieder mit einem gewissen Sack Reis zusammen, der in China umgefallen sei aber es blieb keine Zeit mehr für dahingehende Untersuchungen, da man wusste, dass die Chinesen ein sehr hungriges und gefräßiges Volk waren. Auf jeden Fall fielen nicht nur weiter Säcke mit Reis um, sondern auch bald die Wissenschaftler der Vergesslichkeit anheim und sie trafen sich, wenn überhaupt, dann nicht mehr für irgendwelchen Forschungsschnickschnack, sondern eher zufällig auf der Straße, auf der Suche nach ihrem Bleistift, den sie glaubten verloren zu haben obwohl er direkt auf ihrer Nase saß. Sie grüßten sich nicht mal mehr gegenseitig, was im eigentlichen Sinne nichts mit der großen Vergesslichkeit zu tun hatte, sondern vielmehr auf der übermäßigen Eitelkeit vieler Wissenschaftler gründete. Irgendwann einmal hatte einer dieser Wissenschaftler vergessen den anderen zu grüßen, worauf hin der andere, gekränkt und beleidigt, beschloss den ersten auch nicht mehr zu grüßen. Da die aber eh alle gleich aussahen, grüßte der Gekränkte keinen anderen Wissenschaftler mehr und so griff das Phänomen unter den Wissenschaftlern schnell um sich und verbreitete sich auf der ganzen Welt. Aus diesem Grunde wurden auch bei wissenschaftlichen Ehrungen und Verleihungen damals auch keine Danksagungen mehr zelebriert, da alle beleidigt in der Ecke saßen.

Auf jeden Fall setzte nach und nach das große Vergessen ein. Kriege wurden vorübergehend ausgesetzt, weil jemand das Essen auf dem Herd hatte stehen lassen. Glücklicherweise konnte der Schuldige nie gefunden werden, sonst wäre die ganze Chose wieder von vorne losgegangen und da hatte nun wirklich niemand mehr Lust drauf. Auch an Nancy ging die ganz Sache nicht spurlos vorüber und wie bei allen Menschen wurde das Vergessen nach und nach immer stärker bis am 13. November 2006 quasi das gesamte kollektive Gedächtnis der Menschheit gelöscht wurde. Das war ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt, den gerade hatte man entschieden eine weitere Wiederholung der ersten Star-Trek Staffel „On Air“ zu bringen aber das hatte sich, wie vieles andere auch, mit einem Mal erledigt. An all das konnte sich Nancy freilich nicht mehr erinnern und wenn IHR jetzt fragt woher ich das alles weiß, kann ich nur auf das Stilmittler des allwissenden Erzählers hinweisen und wenn IHR damit nicht zufrieden seid, dann könnt IHR euch ja irgendwo beschweren oder einfach aufhören zu lesen. Ich kenn mich nämlich aus mit so’ne Besserwissers und Klugscheißers wie IHR einer seid. „Pfui Teufel!“, sag ich da. Zurück zum Thema.

Nach eine kurzen aber netten Diktatur in hellen Beige und Pfirsich Tönen, die von einigen Monopolisten der Notizblockindustrie geführt wurde, unternahmen die Menschen den Versuch sich ihrer alten Kultur und Geschichten mit Hilfe von Aufzeichnungen aus der Vergangenheit wieder bewusst zu werden. Viele Dinge jedoch blieben in Vergessenheit und gerade so bahnbrechende Erfindungen, wie Gott oder Unterhosen brauchten eine Ewigkeit bis sie wieder entdeckt wurden. Andere Dinge wurden einfach umgedeutet, Fehl interpretiert oder zweckentfremdet. Da man beispielsweise nicht mehr wusste, wozu der kleine Finger eigentlich gut sei, beschloss man ihm einzig und allein dem Zweck des Nasebohrens zu zuschreiben. Auch heute noch ist es Brauch, den kleinen Finger in die Nase zu stecken wenn man sonst nichts zu tun hat; und wer am 13. Maiomai dem offiziellen Tag der Nase und am 55. Hatschi! Dankeschönmonat dem offiziellen Tag des kleinen Fingers, den kleinen Finger nicht in der Nase hat, gilt als „Unten durch“ und muss sich später selbst die Hände waschen.
Lange Zeit erkannte man den Sinn von Schlüsseln nicht, weshalb man Türen immer aufbrach, wenn man in die Wohnung wollte. Als Folge dessen ergab sich ein weit verbreitetes Hobby – Stubenhocken – und die Tischler stiegen zu einer mächtigen Kaste auf. Die Schlüsselmacher wiederum wurden allesamt auf einen Schlag arbeitslos. Die meisten von ihnen schulten um auf Tischler, damals einen Beruf mit viel versprechenden Zukunftsaussichten, oder fingen an zu weinen. Es gibt noch eine Menge solcher Beispiele, die aber einer anderen Geschichte vorbehalten bleiben.

Natürlich wusste man weder, wo der Nobelpreis verliehen wurde noch was der Nobelpreis war. Da aber bei einem gewissen Hugo aus Schmeicheln (eine Stadt die ich mir gerade selber ausgedacht habe) ein Buch gefunden wurde mit dem Titel: „Die Nobelpreisträger dieser Welt auf einem Blick“ ging man wie selbstverständlich davon aus, dass Nobelpreise in der Vergangenheit gang und gäbe waren und da das Buch in einem Verlag in Bottrop erschienen war, lag es nahe, dass diese Verleihung, wenn man sie schon wieder einführte, in Bottrop stattfand.

Und da war sie nun, Nancy Bein, Nobelpreisträgerin. Endlich fasste sie sich ein Herz, beugte sich nach vorne und begann allen zu danken die ihr einfielen. „Blablabla… besonders herzlich… bblablabla… außerdem noch… blablabla… nicht zu vergessen… blablabla…“ usw. usf. Als sie mit einer Frau endete, die sie einmal im Fernsehen gesehen hatte – irgend eine Talkshow zum Thema: Mein Tee schmeckt nach Frosch – und an die sie sich zufällig erinnerte; und als sie dann im Sauseschritt, das Schwein hinter sich herziehend, die Bühne verließ ging ein großer befreiender Seufzer durch den Saal. Nun war es Zeit für die Toilette, Leckeres Essen, Topfschlagen und anderen Kurzweil.

Auf der Aftershow Party tummelte sich allerlei Pöbel und Gesocks und viele der älteren Männer in neongelben Badeanzügen trugen V.I.P Bändchen um ihre Handgelenke, die sie stolz nach oben hielten, damit auch jeder sie sehen konnte. Die erhobenen Hände verschafften den meisten jedoch einige Nachteile beim Topfschlagen, weshalb immer mehr ältere Männer die Hände wieder runter nahmen, denn die Aussicht auf ein Brausebonbon unter dem Topf war für die meisten sehr verlockend. Ärgerlich allerdings war, dass die besagten V.I.P. Bändchen denen ähnelten, die sich Verbrecher umbanden, die aus dem Gefängnis geflohen waren. Man hatte in einem Buch etwas von Ganovenehre gelesen und beschlossen dass die Polizei auch eine Chance haben sollte. Aus diesem Grund sah man jeden Monat am Tag nach der Preisverleihung die Bottroper Gefängnisse gefüllt mit älteren Männern in neongelben Badeanzügen, die „wieder eingefangen wurden“ wie der Polizeisprecher stolz erklärte. Manchmal versucht einer von ihnen auszubrechen, was man daran erkannte, dass er zwei Bändchen um sein Handgelenk trug, das er stolz in die Luft streckt.

Viele Menschen fragten Nancy an diesem Abend nach einem Autogramm und Michail, der nicht von ihrer Seite wich wie ein dressierter Schoßhund, schrieb fleißig seinen Namen auf die ihr dargebotenen Gegenstände – Photos, Bücher, Brüste, T-Shirts… Sie konnte nicht schreiben. Vielleicht hatte sie es einmal gelernt aber das wusste sie nun nicht mehr und eigentlich war es auch sehr angenehm. Wenn sie sich in ihrem Freundeskreis umschaute, waren die, die schreiben konnten immer besonders hässlich. Die ganzen Arme waren voll geschrieben mit Telefonnummern, Uhrzeiten für Meetings und Dates, Namen und Einkaufslisten. Sich alles aufschrieben war ein Überbleibsel aus der Zeit des großen Vergessens und nachdem die Diktatoren der Notizblockindustrie gestürzt und erschossen wurden, und niemand mehr wusste wie man Notizblöcke herstellte, begannen die die es konnten sich alles auf die Arme zu schreiben. Man hätte annehmen können, dass die die schreiben konnten, ihre Gabe dazu hätten nutzen können sich über den Rest der Menschheit zu erheben und die Nichtschreiber zu unterdrücken. Doch glücklicherweise richtete es der Zufall so ein, dass all die, die zwar schreiben dafür aber nicht lesen konnten und umgekehrt. Dieser Umstand führte dazu, dass sich eigentlich die ganze Welt lieb hatte.

Nancy also konnte nicht schreiben, dafür aber lesen und das tat sie mit Übereifer. Sie kaufte sich fast jeden Tag ein neues Buch um immer auf dem neusten Stand zu sein, jedoch lass sie immer nur ein Wort pro Seite, denn sie glaubte so das Lesevergnügen länger auskosten zu können. Leider kam sie auf diese Weise etwas durcheinander mit den Geschichten, was nicht weiter schlimm war, denn sie verstand sie sowieso nicht und hasste eigentlich die Vorstellung den geistigen Abfall anderer zu verwerten. Ekelhaft. Wie als wenn man einen Apfel essen würde, den jemand anderes schon vorgekaut hatte. Kühe hätten vielleicht viel Spaß am lesen von Geschichten, dachte sie, aber Kühe können nicht lesen, das weiß doch jedes Kind.

Sie schreckte von ihren Gedanken auf, als ihr jemand in den Kaffee spuckte und sie in ein wutverzerrtes aber dennoch bekanntes Gesicht blickte. Marek Schwaroteck. „Hallo!“ sagte er sarkastisch. „Na haben wir wieder einmal alle Preise abgeräumt und nichts für die anderen übrig gelassen? Mussten wir wieder einmal allen anderen zeigen, wie nichtsnutzig und unwürdig sie sind und wie ACHWIETOLL wir doch sind?“ „Ähm…“ sagte Nina, doch Schwaroteck schwadronierte ungebremst weiter. „Ja, ja ist ja gut. Und jetzt kommen wir auf die Tour, ich versteh schon. Gell, immer wenn’s prenzlig wird, schön doll auf die Tränendrüse drücken und sprachlos sein. Mama wird’s dann schon richten. Oder was?“ Als Schwaroteck seine Triade beendet hatte, standen ihm bereits Tränen in den Augen und er fiel auf die Knie, rollte sich auf dem Boden wie ein kleines Baby und fing entsetzlich an zu weinen und zu wimmern. Glücklicherweise kam sofort die Durchsage „Der kleine Marek Schwarotek möchte von der Nobelpreisverleihung abgeholt werden“, denn kurz darauf stand Fr. Schwaroteck bei Nancy und dem quengelnden Knäuel und redete mit Engelszungen auf ihren Mann ein, endlich aufzuhören die Luft anzuhalten. Mit dem Versprechen ihm einen Purlitzerpreis aus Schokolade am Kiosk um die Ecke zu kaufen und ihm diesen hoch offiziell zu überreichen, konnten die Offiziellen Marek überreden sich doch noch zu beruhigen und während seine Frau im liebevoll den Hintern tätschelte und immer wieder leise „Armer Martau Schwartau“ in sein Ohr flüsterte – einen Spitznamen, den er von seinen Kameraden bei der Volksführsorge erhalten hatte – entfernten sich beide von dem Platz an dem Nancy und Michail immer noch verdutzt standen. Nancy nahm einen Schluck Kaffee, verspürte aber sofort das dringende Bedürfnis ihn wieder auszuspucken. Doch sie konnte ihre Reflexe unterdrücken. Man muss seine inneren Grenzen überwinden um seinen inneren Schweinehund zu besiegen, dachte sie. Oder war es umgekehrt? Egal, jedenfalls trank sie die Tasse in einem Zug aus und klopfte sich danach anerkennend auf die Schulter.

Marek Schwaroteck war der eigentliche heiße Anwärter auf einen der fünf Preise und sogar sie war verwundert, dass er diesen Monat nicht einmal den Trostpreis bekommen hatte: immerhin eine beachtliche Regentonne ohne Inhalt. Wenn das mal nichts war dann wusste sie auch nicht. Jedenfalls hatte er nicht gewonnen und genau genommen war das gar nicht so verwunderlich, wenn man bedenkt, dass er zwar nominiert aber eigentlich gar nicht eingeladen war. Jedoch hatte Schwarotek gedroht, er würde auf dem Schulhof seiner Kinder rumerzähle, dass der Nobelpreis ehwieso blöd war und das konnte die Kommission der Offiziellen nun wirklich nicht auf sich sitzen lassen und daher hatte man ihm versprochen er dürfe auch einmal auf die Bühne gehen und dem Publikum wenigstens die Zunge raus strecken. Unter diesen Gesichtspunkten konnte sie Mareks Verhalten natürlich gut nachvollziehen und sie beschloss einen Freund zu fragen, ob dieser in ihrem Namen Marek eine Dankeschön-Karte schreiben könnte. Sie war sich allerdings nicht einmal sicher ob Marek überhaupt lesen konnte, aber das sollte ja nicht ihre Sorge sein.

Langsam wurde sie müde, immerhin hatte sie fast den ganzen Tag über geschlafen. Sie hielt Ausschau nach Michail um ihn zu überreden doch noch mit nach Hause zu kommen, denn eigentlich hatte dieser angekündigt, einfach mal einen Monat lang still da zu sitzen. Nancy glaubte nicht dass Michails Überlegungen Sinn machten, aber wer war sie denn sich mit der Fahrersklavengewerkschaft anzulegen, die nicht nur in Bottrop eine große Lobby hatten.
Nach zehn Minuten Suche, die ihr wie zehn Minuten vorkamen, beschloss sie jedoch alleine nach Hause zu fahren. Sie hatte Michail nie leiden können und ihn eigentlich nur angestellt weil er eines Tages vor ihrer Haustüre stand und dies hier schien eine gute Chance zu sein ihn los zu werden - für eine Weile wenigstens. Sie ging also an die Garderobe und gab der Dame hinter dem Tresen einen Kronkorken, worauf diese hinter einer Art Paravent verschwand und kurz darauf mit Nancys Rock zurückkam, den Michail ihr zu Anfang der Veranstaltung ausgezogen und für sie hier abgegeben hatte. Das mit dem Kronkorken war keine sehr höfliche Geste, aber Nancy dachte sich, warum nicht? Immerhin hatte sie heute ihre Spendierunterhosen an. Sie war froh endlich wieder den Rock anziehen zu können, denn langsam ging ihr der Arsch auf Grundeis. Der Rock war ein nuttiger Hauch von Nichts kaschierte ihre ausgebeulten Spendierhosen vortrefflich. Sie hatte ihn heute Morgen ursprünglich und extra zum „Milch holen“ angezogen; Kühe wollten ja immer beeindruckt werden. Nancy Bein, Nobelpreisträgerin. Hört sich irgendwie gut an und an diesem Gedanken und das große rosa Schein aus Pappmaché festhaltend steuerte sie den Ausgang an.

Weder verabschiedete sie sich, noch macht sie die Tür hinter sich zu oder das Licht aus, sie ging einfach auf den Parkplatz und rief laut den Namen ihres Autos in der Hoffnung es würde sich zeigen. Ihr alter Wagen wäre natürlich sofort vorgefahren ohne lang zu diskutieren, aber ihr Neuer, tststs. Sie wusste natürlich, dass ihr Auto keine Ohren hatte, dass wusste doch jedes Baby, aber ihr gefiel die Vorstellung einer gleichberechtigten Beziehung zwischen ihr und ihrem Fortbewegungsmittel. Nach einer halben Stunde Suche fand sie ihren Wagen, den Michail direkt unter einem widerlich grünen Baum geparkt hatte. Woher hätte er auch wissen sollen dass sich so etwas nicht gehörte, er war ja noch nie gefahren. Auf dem nach Hause Weg kamen ihr einige Reklameschilder entgegen, die versuchten sie von einem neuen Tee mit Froschgeschmack zu überzeugen aber sie sagte nur sie sollen verschwinden und so zogen die Schilder beleidigt ab.

In ihrer 2 ½ Zimmerwohnung, die sie erst seit kurzem bewohnte, platzierte Nancy als erstes das überdimensionale rosa Pappmachéschwein in dem ½ Zimmer. Es füllte den ganzen Raum aus. Glück gehabt, dachte sie. Beinahe wäre sie woanders hin gezogen und woanders ist kein Platz für Schweine, jedenfalls nicht für rosane aus Pappmaché. Wie jeden Abend schaute sie sich die Videoaufzeichnung von der vorherigen Nacht an. Während sie schlief, war immer eine Videokamera auf ihr Bett gerichtet, die die ganze Nacht lief. Auf diese Weise glaubte sie einem Problem lösen zu können, das sie schon seit längerem beschäftigte. In letzter Zeit vergas sie ständig irgendwelche Dinge über Nacht. Arbeitstermine, Verabredungen usw. Mit den Videoaufzeichnungen wollte sie überprüfen zu welchem Zeitpunkt genau sie die Dinge vergas aber bisher hatte sie noch keine Erfolge erzielt. Dafür stellte sich heraus, dass eine Kamera ein geeignetes Mittel war um festzustellen ob jemand schnarcht. Das tat sie natürlich, jedoch glaubte sie, dass die Videokamera selbst daran schuld sei, denn früher hatte sie nicht geschnarcht, das wusste sie. Sie war sogar einige Male nachts wach geblieben um das zu überprüfen und nie hatte auch nur ein Schnarcher ihre Nase verlassen. Als sie sich die Aufzeichnung der letzten Nacht ansah, glaubte sie zu wissen warum sie immer so viele Dinge über Nacht vergessen hatte. Ihr fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie hatte immer nur geträumt.

Als sie am nächsten Morgen aufwachte fühlte sie sich leicht und wie neu geboren.

Nancy Bein, Nobelpreisträgerin. Pfff, so ein Unsinn. Was einem die Phantasie doch manchmal für Streiche spielen konnte. Alles nur geträumt, sie erinnerte sich an ihre Entdeckung vom Vorabend. Und hatte sie nicht mal auf einem Blog irgend so eine komische Geschichte über Nobelpreise und Bottrop gelesen. Komisch dass sie gerade jetzt daran denken musste, aber wo Träume überall ihre Ideen her nehmen, weiß der Teufel. Als sie in die Küche ging um sich einen Kaffee zu machen kam sie an ihrem ½ Zimmer vorbei in dem ein überdimensionales rosa Pappmachéschwein auf einem Rollbrett stand und das offensichtlich mit leeren Konservendosen gefüllt war. Das Schwein schaute sie traurig an und sie wunderte sich ein bisschen. Aber mit einem Kopfschütteln fegte sie alle Bedenken bei Seite.

Samstag, 3. April 2010

Nicaraguagagagaga

Mal auf die schnell Schlimmerland,

hab mir vorgenommen wieder mal reschelmaesischer zu posten und daher das update der Woche....

Bin am Mi. nach Granada gefahren, weil ich mal wieder ausreisen musste. Eiegentlich hatte ich vor mit ner Freundin plus Anhang im Inseldschungel des Lago Nicaraguas zu entschwinden, aber leider gibt es da keinen offiziellen Grenzuebergang und den brauchte ich ja. Naja, zweite Option gewaehlt und wollte mich mit Freunden in granada treffen. Und dann...



....Keine Freunde da. Du dummen Aersche haben mich versetzt. Ich hab einfach nix von ihnen gehoert und wurde nach und nach immer angepisster, denn wenn ich alleine Urlaub gemacht haette waere ich einfach an den Strand gefahren und haette da drei Tage ausgespannt. Saubloede Sache also und da wird mehr als "ein Bier ausgeben" als Entschuldigung kommen muessen. Naja, also Felix immer pissiger in Granada 35 Grad eitel Sonnenschein und die ganze Stadt platzt aus allen Naehten, weil ja Osterferien sind. UNd da Granada vor allem fuer seine vielen Kirchen bekannt ist, quellen diese also ueber vor froemmelnden Katholiken. Nine aber im Ernst, eiegentlci echt sehr angenhem. Staendig Leute auf der Strasse, freidliche Stimmung und alle Stunde irgendwo irgendeine Prozession wo Jesusstatuen rdurch die Stadt getragen werden. Habe auch an so einer naechtlichen Prozession teilgenommen und war echt ganz interresant. Vor allem wird live-mucke gespielt. Schwer und traurig mit blaesern usw. und man kommt sich vor wie auf einer Beerdigung in New Orleans.

Im Endeffekt doch nicht so alleine gewesen, weil ein paar Artesanos getroffen, die bei mir im Hostal gepennt haben (3 dollar die nacht)und mit denen ein bisschen "Rum"-gezogen. Und dann sind mir auch iorgendwie noch andere Menschen uebrn Weg gelaufen die ich kannte und schwupsdiewupps war ich nicht mehr so alleine. Abends hat dann irgendein Freund von nem Freund Geburtstag gefeiert und das hat mir irgendwie krass die Lichter ausgeschossen. Lag auf dem Buergersteig, konnte und wollte mich nicht mehr bewegen und zum Glueck haben die netten Unbekannten sich zu mir gesellt und mich nicht alleine gelassen. Bin dann irgendwann irgendwie doch hochgekommen, ins Hostal und hab den Schlaf der Gerrechten getraeumt. Nicht, dass ich meinen Suff hier ueberstrapazieren wuerde, aber die naechsten Wochen wird mal nen Gang zurueckgeschraubt - vor allem jetzt da Gregor weg ist. Also doch noch ganz lustig geworden die ganze Sache. Trotzdem dicke scheissaktion von den anderen, die wussten dass ich nur wegen ihnen nach Granada und auch alleine komme.

Und jetzt? Jetzt werde ich mich mal ganz schnell entscheiden muessen, ob ich mich auf den Heimweg mache oder noch nen Abstecher nach Matagalpa zu ner Bekannten. Mal schauen welcher Bus als erstes faehrt, wenn ueberhaupt einer faehrt - dass sollen sie naemlich angeblich nicht :-) Lasst euch ebenso ueberraschen wie ich mich.

Bis bald

Felix